Bern und der Kolonialismus – wir intervenieren

02.07.2024

Die Schweiz besass keine eigenen Kolonien. Trotzdem ist sie eng mit dem Kolonialismus verflochten. Dies spiegelt sich in den Sammlungen und Ausstellungen des Bernischen Historischen Museums. Interventive Stationen weisen punktuell auf solche bislang unbeachteten Verflechtungen und deren Nachwirkungen hin.

© BHM, Christine Moor

Gut sichtbar markieren sechs Stationen – verteilt im ganzen Haus – die Interventionen in den Dauerausstellungen. Einzelpersonen, Firmen und Institutionen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz haben sich vom 16. bis ins 20. Jahrhundert direkt und indirekt wirtschaftlich und kulturell an der kolonialen Ausbeutung beteiligt. Jede Station zeigt einen Aspekt von Kolonialität anhand eines oder mehrerer ausgestellter Sammlungsstücke auf. Die neue Einbettung der erzählten Geschichten gibt einen Einblick in bisher vernachlässigte Perspektiven.

Wie viel Sklaverei steckt im Reichtum der Schweiz?

Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen aus verschiedenen Fachbereichen gingen solchen Fragen nach. Hierzu ein Beispiel ist der Salon de Pourtalès, der von einem Leben im Luxus erzählt. Die Intervention macht auf die Kehrseite dieses Luxus aufmerksam. Denn, wie kam der Kaufmann Jacques-Louis de Pourtalès (1722–1814) zu seinem Reichtum? 

Der Textilhandel, in den de Pourtalès involviert war, war eng mit der Sklaverei verknüpft. Farbige Stoffe aus Indien und Europa wurden in Westafrika gegen versklavte Menschen eingetauscht. Diese mussten auf Plantagen in Amerika Zucker, Kaffee, Kakao und Baumwolle produzieren – die «Kolonialwaren», die Europa liebte.

© BHM, Christine Moor

Figuren aus Westafrika neben Toblerone?

Aufmerksamen Besucher:innen fallen die neu ausgestellten Nomoli-Figuren in der Ausstellung «Bern und das 20. Jahrhundert» auf. Die Steinfiguren erzählen die Geschichte rund um die Fabrik Chocolat Tobler neu. Wegen stark steigender Kakaopreise wollte Chocolat Tobler den Rohstoff direkt aus Westafrika beziehen. Dort traf das Unternehmen auf die «Société Commerciale de l'Ouest Africain» der Berner Familie Ryff, die im Kakaohandel tätig war. Die Beziehung der Berner Unternehmen zur lokalen Bevölkerung war von einem Machtgefälle und einem rassistischen Weltbild geprägt. Die Einheimischen wurden in der Werbung exotisiert, ihre Artefakte gesammelt, nach Europa gebracht und dort ausgestellt. Dazu gehörten die in der lokalen Sprache (Mende) Nomoli genannten Steinfiguren.

Auf den Spuren des Kolonialismus

Die im Juli 2024 lancierten Interventionen können als Rundgang besucht werden, funktionieren aber auch einzeln. Eine knallige Farbe unterstreicht den Interventionscharakter. Im begleitenden Faltblatt wird über die Inhalte der Stationen informiert. Auf der Website des Museums finden sich ausführliche Erläuterungen sowie Leseempfehlungen für Interessierte.

© BHM, Christine Moor

Vermittlung

Die Stationen «Bern und der Kolonialismus» können von Schulklassen auch in einem interaktiven Rundgang besucht werden.

Realisation

Gesamtleitung: Thomas Pauli-Gabi

Konzeption und Projektmanagement: Anna-Pierina Godenzi, Susan Marti, Aline Minder, Judit Pechr

Recherche und Inhalte: Samuel Bachmann, Thomas Fenner, Marc Höchner, Annette Kniep, Susan Marti, Karin von Niederhäusern, Mira Shah

Ausstellungsgestaltung und -grafik: Bonsma & Reist

Ausstellungsmedien: Lucy Kägi; Schmiderei; The Setrunners GmbH

Vermittlung: Yann Jallay, Judit Pechr, Ursina Wüthrich

Marketing & Kommunikation: Nicole Zimmerli

Umsetzung: Lettra Design Werbetechnik AG; Rudolf Wegmüller, Urs Wüthrich, Johannes Zwygart

Konservierung und Restaurierung: Dominic Bütschi, Meret Haudenschild, Daniel Kehrli, Isabel Keller, Lennard Lindenmann, Malik Mathlouthi, Simon Niederberger, Maike Piecuch, Laurine Poncet, Olivier Ruch, Susanne Stadler, Florin Zaugg